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Ehrlich Sanieren - Gutshaus Kobrow

Gutshäuser ·
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Fotos und Text von Annika Kiehn

Als Philipp Kaszay das erste Mal das Gutshaus betrachtete, das er 2011 kaufen würde, dachte er: „Was für ein hässlicher Kasten!“ Zugegebenermaßen weist das Gutshaus Kobrow südlich von Rostock eigenwillige Proportionen auf. Der neogotische Bau, so die allgemein gültige Vermutung, ging nach einem Brand aus einer Überbauung 1860 hervor. Aber wie bei nahezu allen guten „Wie-ich-mir-ein-altes-Haus-kaufte-Geschichten“ gilt auch bei dieser: Nicht der Mensch sucht sich das Haus aus, sondern das Haus den Menschen, den es braucht. In diesem Fall konnte der alte Sitz derer von Bülow Philipp als „Wiederaufbau-Sklaven“ für sich gewinnen.

Seither bewohnt er einen ausgebauten Teil mit seiner Tochter, einen Teil vermietet er als Ferienwohnungen. Wenn er sich nicht gerade um seine Gäste kümmert (superhost!), arbeitet er je nachdem wie es sein Kontostand erlaubt, an seinem Haus weiter. Ich kenne Philipp aus der Gutshaus-Serie „Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“. Seit mehreren Jahren begleitet sie ihn bei seinem Abenteuer.

Als ich ihn an einem Bilderbuch-Sommertag im Mai 2018 besuche, aus dem dieser Text hervorgegangen ist, ist das Filmteam da, um eine neue Episode zu drehen. Mit dabei: Veit Hedel, Philipps Haus- und Hof-Tischlermeister. Ihn habe ich ein paar Monate vorher in seiner Werkstatt auf Rügen kennengelernt. Veit bringt eine Leidenschaft für seinen Beruf mit, die einen positiv überfordern kann. Dann spricht er von Pigmentfarben, die er auf seinen Baustellen verwendet hat oder über seine Zeit in Frankreich. Nebenbei führt er durch seine kleine Schatzkammer, in der er Türschlösser vom Barock bis zum Bauhaus aufbewahrt.

Das erste Kennenlernen mit Veit endete mit einem spontanen philosophischen drei-Stunden-Gespräch an seinem Werkstattofen. Wenn es ums behutsame Sanieren alter Häuser geht, ticken er und ich ähnlich - die besten Lösungen ergeben sich, wenn man sich auf die Eigenheiten seines Hauses einlässt.

In Kobrow hat Philipp mit Veit einen Partner in crime gefunden. Vielleicht mögen sie sich auch so gern, weil sie beide bevorzugt offline leben und sich über ihre alten Nokia-Telefone verständigen. Ich möchte mehr über ihre Zusammenarbeit erfahren, wie sie die Schönheit alter Häuser bewerten und wie man sie am besten erhalten kann.

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Schöner Tag, auch wenn ich fast sechs Stunden lang warten musste, um mit Euch in Ruhe zu reden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Euch mal gesiezt habt.

Philipp: Ja, bis die Fernsehgeschichte ins Spiel kam.

Veit: Davor sechs Jahre lang. Beim Dreh in meiner Werkstatt auf Rügen war die Stimmung so locker, dass wir‘s abgebrochen haben.

Philipp: Bei unserer Zusammenarbeit ging und geht es ja um viel Geld, da kann man sich nicht einfach gleich Duzen.

Veit, Du bist spezialisiert auf Denkmalpflegerische Sanierung und besitzt einen Materialienschatz aus mehreren Jahrhunderten. Ich schätze, die wenigsten Menschen, selbst wenn sie alte Häuser mögen, haben dafür einen ausgeprägten Sinn. Oder es fehlt das nötige Geld, um ihre Vorstellungen umzusetzen. Wie gut kannst Du Deine Expertise bei Aufträgen ausleben?

Veit: Es ist heutzutage wirklich schwer, die Menschen für den Wert von professionellen Handwerkern zu sensibilisieren.

Philipp (nickt zustimmend): Ja!

Veit: Jemand Normales als Kunden zu finden, der eine Familie hat und den Anspruch, ein schönes Haus haben zu wollen und verwurzelt in der Region zu sein – so einen zu finden, ist total selten.

Philipp: Das ist der eigentliche Punkt an der Geschichte - wo findest Du noch Menschen, die das normal finden. Mittlerweile gilt man fast als Spinner, wenn man die alten Traditionen noch lebt.

Veit, kann es aber sein, dass die Langsamkeit des Handwerks nicht mehr zu der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit passt? Wie gut funktioniert das in der Zusammenarbeit mit Philipp?

Veit: Philipp hat durch verschiedene Umstände eine gewisse Erdung. Er zieht hier auf seiner Baustelle durch, und dann ist auch mal Feierabend. An dem großen Esstisch, den ich ihm heute mitgebracht habe, kleben Mücken dran, die während der Autofahrt dort kleben geblieben sind, weil der auf dem Dach transportiert wurde und nicht in Folie eingewickelt wurde. 95 Prozent meiner Kunden würden den so nicht abnehmen. Die würde das stören.

Philipp: Oh, das habe ich mir noch gar nicht so genau anguckt. (lacht).

Veit: Wenn ich die Schönheit will, aber die Kohle nicht habe, muss ich einen Kompromiss eingehen. Das ist sein Weg, das zu bekommen, was er haben möchte. Bei den Fenstern, die wir heute eingebaut haben, zum Beispiel, hat er sich gesagt: Ich nehme dieselbe Art wie vorher, aber dann verzichte auf das Walzglas, was in der Zeit vorgeherrscht hat, als Haus gebaut wurde.

Weil Philipp nicht mehr ganz so viel Geld hatte, haben wir uns entschieden, nach und nach zu reduzieren. Zum Beispiel, indem wir darauf verzichten, dass die Oberlichtscheiben zu öffnen sind – oder eben einfacheres Glas gewählt haben, in diesem Fall Floatglas. Das eine günstige und hochwerte Alternative zu Walzglas. Walzglas ist der Nachfolger von mundgeblasenem Glas und hat eine unregelmäßige Oberfläche, die Reflektionen erzeugt. Für die riesen Fensterflächen ist das wichtig, um eine historische Optik zu erhalten, darum haben wir es bei ihm in der Fassade verwendet. Das sieht einfach ästhetischer aus.

Hätten wir einfaches Glas für die Fassade gewählt, wären schwarze Löcher entstanden. Bei Fenstern, die zum Nachbarn oder nach hinten raus in den Park zeigen, kann man Abstriche machen. Deshalb hat Philipp sich entschieden, dass er für die weniger wichtigen Fenster Floatglas nimmt. Und dann ist an dem Punkt eben mal damit zufrieden.

Tischlermeister Veit Hedel

Philipp: Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass günstiger nicht immer besser ist, leider. Bei der Armatur meiner neuen Dusche in der einen Ferienwohnung habe ich 200 Euro gespart, aber die ist scheiße und war trotzdem noch teuer.

Was ist daran scheiße?

Philipp: Unten in der Ferienwohnung habe ich eine Dusche eingebaut, die ist wunderbar, war aber eben kostspielig. Dann hat mir jemand eine ähnliche von einem anderen Hersteller empfohlen, die 200 Euro günstiger ist. Also habe ich die im Internet bestellt und als das Ding ankommt, sehe ich, dass die Armaturen nicht aus Porzellan sind, sondern aus Plaste. Da dachte ich nur: Dafür habe ich jetzt so viel Geld ausgegeben? Hätte ich die 200 Euro draufgepackt, hätte ich gehabt, was ich haben wollte. Jetzt habe ich etwas, wo ich gespart habe, aber mit dem ich nicht zufrieden bin. Mit den Fenstern ist das anders. Da habe ich mich darauf eingelassen, dass es einfaches und günstigeres Glas ist. Für da oben ist das völlig ausreichend.

Veit: Es geht darum, dass Du zu einer Reduktion bereit bist und damit auch leben kannst. Die Fenster sind normalerweise profiliert und detailreicher, das haben wir da oben weggelassen. Sowas versteht Philipp, aber es gibt viele Menschen, die da keinen Unterschied erkennen. Das ist eine Frage der Ästhetik. Du kannst die moderne, ästhetische Schiene fahren, schick und teuer, oder Du hast einen bestimmten Baukörper, der gewisse bauliche Vorgaben mitbringt und dann kann man schauen, wie man die zu seiner eigenen Zufriedenheit abarbeiten kann. Das zu bewerten, erfordert eine gewisse Expertise. Für mich arbeitet es sich am besten mit denen, die eine Meinung haben, mir das erklären können und dann können wir eine Entscheidung fällen.

Du meinst, die anderen verstehen gar nicht, was Du von denen willst?

Philipp: Veit, aber viele Leute wissen auch gar nicht, was es gibt. Ich erinnere mich noch an den ersten Fenstereinbauer, den ich beauftragt habe. Ich wollte ein Angebot für eine bestimmte Fenstermarke. Der wusste gar nicht, was die Firma überhaupt kann. Der war total überfordert und hat sich nicht getraut, mir ein Angebot mit Stichbogen zu machen, weil der teurer ist. Die meisten Handwerker wissen, dass die Leute es vor allem günstig wollen. Von der Regierung wird zwar die höchste Dämmwirkung vorgeschrieben, aber keine Ästhetik.

Veit: Die meisten Menschen sind überfordert, es gibt ja auch extrem viel Auswahl.

Philipp: Der durchschnittliche Handwerker baut seinen Kram nach DIN-Norm ein, damit er keinen Ärger kriegt. Das ist das Problem: Die wissen oft nicht, dass es Alternativen gibt, die nicht zwingend so viel teurer sind als der Standard. Es wird Dir nichts Besonderes verkauft. Ich weiß zum Beispiel, dass es Rohre auch in schwarz gibt. Die verkauft Dir aber keiner. Da gilt oft „haben wir nicht, kennen wir nicht, gibt es nicht.“

Veit: Oft liegt es auch einfach daran, dass es sehr schwer ist, mit einem Kunden ein ruhiges Gespräch herzustellen. Es ist unglaublich, wie schnell vier Stunden vergehen können und am Ende ist nichts geklärt. Philipp hatte von Anfang an eine Vision, da habe ich zu ihm gesagt: Such mir mal einen Raum, der dir gefällt, im Internet raus, an dem wir uns orientieren können. Das schaffen die wenigsten, da ändern sich die Vorstellungen alle halbe Jahre. Man muss immer ganz viel übers Geld reden. Mit fehlt’s einfach an Leuten, die Fantasie haben.

Dabei kann ich den Kunden alles bieten: Marken, Farben. Ich kann denen von meinen Erfahrungen mit anderen Kunden erzählen, aber die Leute haben trotzdem Probleme, mir konkret etwas zu meinen Vorschlägen zu sagen. Vielleicht liegt das an meinem Assi-Look, dass ich nicht überzeugend rüberkomme (Heute sehr ungezähmt französisch).

Philipp: Du könntest dir wirklich mal was Ordentliches anziehen! (lacht)

Veit: Vielleicht unterschätzen die Leute, was ich weiß.

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Philipp: Sanieren ist eben auch eine Sache von Prioritäten - und die definiert jeder anders. Ich werde oft gefragt, wann ich endlich die Fassade mache. Für mich ist es aber wichtiger, dass der Aha-Effekt innen eintritt. Ich finde so einen sandgrauen Putz völlig in Ordnung. Ist doch viel schöner, in so eine graue Hütte hereinzukommen und zu denken „Wow!“. Sonst hast du den Umkehr-Effekt - wenn sie die tolle Fassade sehen, sind die Erwartungen hoch. Und dann sind sie enttäuscht, wenn sie reinkommen und da nur Sperrmüll herumsteht und ein Laminatboden verlegt ist und dann haben wir den Fall: Preußisches Postamt trifft auf besetzte Wohnung in Neukölln. Das ist doch schade und irgendwie auch unehrlich.

Was ist denn ehrliches Sanieren? Originalgetreu?

Philipp: Nee, Zeitschichten erhalten. Das Kummerower Schloss (LINK!) ist für mich das schönste Beispiel. Da ist viel Geld in eine Bruchbude reingeflossen und trotzdem kann man noch erkennen, dass eben nicht immer alles geleckt war. Da sieht man: Ah, da musste man die ganze Decke austauschen, weil dort Schwammbefall war und in demselben Raum wurde aber das Eichenparkett originalgetreu nachgelegt und keine USB-Platte. Dann ist es super.

Am besten ist der Saal mit den FDJ-Sprüchen, da steht dann auch alter Plunder herum, als einziger Raum. Das finde ich wirklich gelungen als Sanierung. Der normale Mensch sagt: Du, da müsste man mal was machen, da steht ja noch das „Betreten verboten“-Schild an der Eingangstür. Dabei ist es irre aufwendig, das genauso hinzubekommen.

Veit: Mirow ist auch ganz gut. Tolle Böden, die haben ganz viel mit Fragmenten zu tun. Sie hätten früher aufhören können mit der Restaurierung. In Kummerow haben sie bis zu einem gewissen Punkt aufwendig restauriert, aber dann aufgehört. Das ist spannend, dass das mal jemand gemacht hat. Die Beschlagarbeiten sind mitunter nicht so topp gelaufen da, aber ich will nicht meckern. Ich denke, der Kummerower-Besitzer hat schon mehrere Objekte vorher gemacht, da ist die Erfahrung da. Da ist jemand mit viel Geld und einer Vision rangegangen und das ist das Beste, was so einem Haus passieren kann.

Veit: Der Großteil derer, mit denen ich zusammenarbeite, sagt: Veit, ich habe dieses Haus gekauft und ich möchte Weihnachten einziehen. Das heißt, ich soll innerhalb eines Jahres alle Böden, alle Bahnen, alle Fenster durchrocken – da kriegt man erstmal Angst als Handwerker.

Philipp: Weil du es allein nicht schaffen kannst.

Veit: Und weil Du gar nicht die Möglichkeit hast, mit dem Gebäude klarzukommen und die Menschen kennenzulernen, mit denen Du arbeitest. Philipp gibt mir ab und an mal ein Fenster mit und dann habe ich ein Jahr Zeit, es fertig zu machen. Diese Langsamkeit ist mitunter auch nötig. Wir sind ja nicht faul, aber bis man sich verständigt hat, was man will, bis man die Materialien gefunden sind, die Beschläge, die nötig sind, braucht es eben eine Weile.

Gibt es sowas wie das Einmaleins des Haus-Kennenlernens?

Philipp: Wohne ein Jahr drin. Benutze es. Wie lernst du denn einen Menschen kennen?

Veit: Benutze ihn (lacht). Gewöhnlich läuft es so ab: Im ersten Jahr ist der Modus noch: einfach drauf los. Im zweiten Baujahr gehst Du schon bedachter vor. Ab dem dritten oder vierten Jahr lässt Du schon viel mehr stehen - und akzeptierst diese und jene Eigenheit des Hauses.

Habt ihr auch mal ein Vorhaben hier in Kobrow kippen müssen?

Philipp: Ja, weil mein Anspruch größer ist als mein Geldbeutel.

Veit: Das hat mehrere Gründe. Deine Vermietung ist anlaufen, das braucht, um sich zu entwickeln und dann muss man gucken, was passt. Man kann ja nur bedingt weiterbauen, wenn sich hier jemand gleichzeitig erholen möchte. Letztes Jahr wolltest Du Dein Gutshaus am liebsten loswerden und am Strand leben. (Im gleichen Moment zeigt Philipp auf seinen neu erworbenen Wohnmobilanhänger.)

Philipp: Da hatte ich einen argen Tiefpunkt. Wäre da jemand vorbeigekommen, hätte ich gesagt: Komm hier, ich schenk‘s Dir!

Veit: Hatte ich aber mit meinem Haus auch. (Anmerk.: Hat die marodeste Villa in Sassnitz saniert)

Wie holt man sich aus so einem Loch raus?

Veit: Saufen.

Philipp: Genau - und dann weitersehen. Dann lief das mit der Vermietung ganz gut an und durch einen blöden Zufall bin ich auf Platz 5 der Airbnb-Traumziele gelandet im Jahresvoting 2017. Das hat sehr geholfen, dass Gäste auf mich aufmerksam wurden. Ich habe ja zum Glück keinen Familiensitz mit 600 Jahren Tradition übernommen. Wenn ich merke, dass es hier nicht mehr für uns weitergeht, dann war’s das eben. Dann habe ich mehr geschafft, als in den vergangenen 30 Jahren hier erreicht wurde, um es zu erhalten. Ich sag‘ das jetzt so dahin, eigentlich möchte ich ja, dass ganz viele Gäste zu mir kommen.

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Gutshaus-Besitzer von Kobrow: Philipp Kaszay

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