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Der Schäfer vom Fuchsberg

Menschen ·
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Fotos und Text: Annika Kiehn


Ich finde es immer spannend, wenn jemand seinem Leben einen komplett anderen Dreh gibt, nach dem Motto: Tschüssi, altes Ich! War schön mit dir! Weiter geht’s. Diese Dramatik macht mich irgendwie an.

So ähnlich war es bei Oliver Barf. Er wollte raus aus Berlin, ohne einen Plan zu haben, was er fortan mit seinem Leben machen würde. Per Zufall fand er ein Haus in Mecklenburg. Hühner, vier Sattelschweine, zwei prächtige Birnenbäume und der Ausblick aufs weite Feld gehören zu seinem Idyll. Und außerdem ein paar Milchschafe, mit denen er nun seinen Lebensunterhalt bestreitet. Als ich ihn besuche, ereilen mich wilde, altdeutsche Hütehunde. Oliver braucht sie, denn sein Nachbar ist ein Wolf.


Oliver, wie bist Du in Schönhausen gelandet?

Ich habe in Berlin als Sozialwissenschaftler gearbeitet und an diversen Studien geforscht. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich zunehmend unwohl gefühlt habe mit meiner Situation – Großstadt/Festanstellung. Ich wollte aufs Land und dort ein Haus mieten. Einen genauen Plan, was ich dort machen würde, hatte ich nicht. Dann fanden wir dieses Haus, das zum Verkauf stand. Da habe ich alles Ersparte zusammengekratzt und zugeschlagen.

Wovon lebst Du jetzt?

Ich bin Vollzeit-Landwirt und habe eine Schafherde. Der ehemalige Besitzer unseres Hauses musste aus privaten Gründen schnell aus der Region fort und hat quasi alles zurückgelassen, was er besessen hat – auch ein paar Milchschafe und ein Handbuch: Haltung und Züchtung von Milchschafen. Das habe ich mir durchgelesen und dann zu mir gesagt: Gut, probieren wir das mal aus mit der Schafzucht. Inzwischen ist meine Herde auf rund 100 Tiere angewachsen.

Wie sieht dein Alltag aus?

Ich muss die Tiere melken, Zäune setzen, Futter aufbereiten. Meine Frau und ich haben das Grundstück nebenan dazugekauft, da sind wir mitten in den Bauarbeiten. Dazu kommen die Hunde, um die ich mich im Moment sehr stark kümmern muss. Gleich hier nebenan, in den Brohmer Bergen, hat sich ein Wolfsrudel angesiedelt und der Rüde ist sehr aktiv. Also musste ich mir mehr Hütehunde zulegen. Inzwischen habe ich neun, total irre. Das war nie geplant, aber ich brauche die zur Abwehr. Die Arbeit mit ihnen raubt mir viel Zeit: Ich muss sie erziehen, einarbeiten, jedes Tier hat seine eigenen Bedürfnisse – mal abgesehen von den steigenden Futterkosten. Ein Kollege mal im Scherz gesagt: 'Du hast bald mehr Hunde als Schafe!' Was soll’s, anders funktioniert es nicht.

Wie lebt es sich so nah an einem Wolfsrudel?

Ich bin froh, dass ich keine Kinder habe, ehrlich. Die Rückkehr der Wölfe ist ein sehr umstrittenes Thema und ich will mich da nicht festlegen, ob das gut ist oder nicht. Fakt ist, solange der Wolf nicht geschossen werden darf, weiß er, dass er keine Feinde hat und das hat Auswirkungen auf sein Verhalten. Dann wird er uns Menschen gegenüber distanzlos und das kann unangenehme Konsequenzen haben. Ein Tier wurde mir auch schon gerissen. Der Fuchs, zum Beispiel, darf geschossen werden, der weiß darum, deshalb gibt es keine Probleme mit ihm - aber das ist nur ein Aspekt in dieser komplexen Materie. Ohne, dass ich ihn verteufeln will, aber mein Leben wäre definitiv entspannter ohne den Wolf.

Warum wolltest Du aufs Land?

Den Wunsch hatte ich schon eine ganze Weile. Den entscheidenden Anstoß, dass ich mit dem Stadtleben abgeschlossen habe, hat vermutlich mit dem Thema zu tun, zu dem ich damals in Berlin geforscht habe: „Zeit- und Leiharbeit aus Sicht von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Gewerkschaften“. Die Ergebnisse haben mich schon nachdenklich gemacht. Politische Entscheidungen haben eine diffizile Marktlage geschaffen und folglich wäre es an den Politik, das zu ändern. Stattdessen wird geduldet, dass es solche prekären Arbeitsverhältnisse gibt. Diese Tendenz hat bei mir den Schalter umgelegt: Ich habe keinen Bock auf Karriere oder sowas.

Man ist dabei immer dem Good-Will anderer Menschen ausgeliefert, das möchte ich nicht. Ich bin ein Typ, der selbst etwas auf die Beine stellt. Das habe ich wohl von meinen Eltern übernommen. Die sind von Rumänien nach Deutschland ausgewandtert und haben sich eine komplett neue Existenz aufgebaut - und es ist ihnen geglückt. Ich denke, mit dieser Einstellung bin ich auch nach Mecklenburg gekommen. Hier möchte und kann ich mich verwirklichen.


Bei unseren Tieren handelt es sich um bedrohte Rassen und mit dem Schäfersein auch um ein Handwerk, das quasi vom Aussterben bedroht ist - das am Leben zu halten, motiviert mich definitiv.


Ist es so gekommen, wie Du es Dir vorgestellt hast?

Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Aber so wie es gekommen ist, finde ich es ziemlich gut. Ich kann Trecker fahren, Heu stapeln, neue Wurstrezepte ausprobieren, mein Alltag ist total vielseitig, das macht echt Spaß. Jeder Tag ist anders und genau das mag ich, auch wenn es echt anstrengend ist. Ich muss hier richtig reinhauen, 100 Stunden Arbeit die Woche sind normal. Ich bin mein eigener Knecht. Aber wenn ich mal einen ruhigen Moment habe, denke ich mir: Langsam bin ich ein bisschen stolz auf das, was wir hier schon alles erreicht haben.

Worauf könntest Du verzichten?

Auf die Bürokratie (lacht). Ich habe einen Mitarbeiter, jemand aus dem Dorf, der mir zur Hand geht und gleichzeitig hat man den Verwaltungsaufwand an der Backe. Dann kommt mal das Finanzamt vorbei, um zu schauen, ob alles seine Richtigkeit hat. Ich muss ja nichts befürchten, aber es hält einen von den wichtigen Dingen ab, die zu erledigen sind. Und die Hygienevorschriften bei der Käseherstellung sind auch nicht ohne, die müssen sein, logisch, aber anfangs hat mich das alles erschlagen.

Was motiviert Dich?

So ein Betrieb ist ein Selbstläufer, irgendwann brauchst Du keine Motivation mehr. Wenn Du so viele Tiere hast, weiß Du, wofür Du es machst. Ich arbeite im Moment daran, die Abläufe so zu verbessern, dass aus einer 100 Stunden-Woche irgendwann mal eine 80-Stunden-Woche wird. Bei unseren Tieren handelt es sich um bedrohte Rassen und mit dem Schäfersein auch um ein Handwerk, das quasi vom Aussterben bedroht ist - das am Leben zu halten, motiviert mich definitiv.

Was fehlt Dir?

Eine gute Kneipe wäre angenehm. Nach Feierabend mal ein Bier und ein gutes Gespräch, das wünsche ich mir ab und an. Es fehlt an Jugend im Ort, die jüngsten Bewohner sind meist ab 45 aufwärts.

Wovon träumst Du?

Ich träume nicht, ich bin ernüchtert (lacht). Ich habe das Gefühl, dass die klassische Wertevermittlung gar nicht mehr funktioniert. Die Leute werden immer Ich-Bezogener, man muss sehen, wo man bleibt. Die Tendenz geht meines Erachtens nach jenseits Solidarität und Gemeinschaftlichkeit, das stimmt mich schon nachdenklich.

Was magst Du an dem Ort, in dem Du lebst?

Die Natur, die Brohmer Berge – das war eine richtige Überraschung. Je länger wir hier waren, desto mehr hatten wir den AHA-Effekt: Adler, Hirsche…is schon Hammer.

Wie erreicht man Dich? milchschafhof@posteo.de

Der Milchschafhof ist immer sonntags geöffnet zwischen 14 und 18 Uhr. Individuelle Absprachen sind möglich.

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