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Coworking auf Gut Damerow

Gutshäuser ·
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Fotos und Text: Annika Kiehn

Felicitas Gobbers kennt das Leben vornehmlich aus der Stadt. Im Urlaub ist sie gern auf Malle. Im Frühjahr 2017 kommt sie nach Damerow, um für ein paar Monate auf der Gutsanlage ihrer Eltern, ausgebrannt vom Job, bereit für einen Sabbatical. Felicitas Familie, derer von Winterfeld, betrieb das Gut Damerow 400 Jahre lang bis zur Enteignung 1945. Mehr als 70 Jahre später kommt Felicitas um sich angemessen um das ehemalige Rittergut zu kümmern.

Preußen war die aufsteigende Großmacht des 18. Jahrhunderts, und Damerow, das seit 1656 mit Mann und Maus der brandenburgischen Adelsfamilie von Winterfeld gehörte, bekam diesen Aufstieg zu spüren. Es wurde zum profitablen Gutsdorf, und als 1838 der Gutsherr Ludwig Gustav von Winterfeld sogar seinen Hauptsitz hierher verlegte, erlebte es eine kleine Blütezeit.

Ein prächtiges Herrenhaus mit einer ausgedehnten Parkanlage entstand an der Stirnseite eines großen Gutshofes. Es brannte im letzten Weltkrieg ab. „Ein 1838 errichteter, zweigeschossiger Putzbau“ wie es bei Renate de Veer beschrieben steht, in „gotisierenden Formen“. Geblieben ist eine charmante Gutsanlage, umringt von zahlreichen Nebengebäuden sowie Fragmenten der alten Felssteinkirche aus dem 14. Jahrhundert und ein wunderschöner Park, dessen Mitte eine mächtige Eiche ziert. "Die sieht so magisch aus, als ob sie nachts herumwandert", sagt Feli, wie sie sich gern nennen lässt.

Dass das Gutshaus nicht mehr da ist, findet Feli, „einerseits sehr schade, andererseits aber ok, angesichts der Tatsache, dass ich mit dem Rest der Anlage auch schon gut ausgelastet bin.“

Immerhin hat Damerow, wovon andere Dörfer noch träumen: Eine richtig schnelle Internetleitung. Grund genug für Feli, Im Sommer 2019 im alten Gutscafé den ersten ländlichen Coworking Space Mecklenburg-Vorpommerns zu eröffnen.

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Feli, wie geht es Dir mit Deiner Rolle als Gutsverwalterin?

Als meine Eltern es 2006 zurückkauften, dachte ich: Eine Finca auf Mallorca wäre mir lieber gewesen! Die hätte ich prima vermarkten können. Das Verwalterhaus, was ja quasi als einziges bewohnbares Gebäude übrig war, war komplett zugewachsen, wilde Hunde lebten darin und hatten alles zugeschissen. Ich hatte nie einen Bezug zu dem Ort. Meine Großeltern sind früh gestorben, es war nie Zeit gewesen für diese Gespräche, in denen man hätte Erinnerungen austauschen können. 2017 meinten meine Eltern dann plötzlich: Jemand muss sich um die Anlage kümmern. Meine Schwestern leben mit ihren Familien in London beziehungsweise Krefeld. Da ich am flexibelsten bin, habe ich ein Sabbatical von meinem Job in Stuttgart genommen und bin für vier Monate hier hochgezogen, von April bis August. Ich sah diese alten, teilweise maroden Gebäude an und dachte: Scheiße, hier kannst Du keinen Tag überleben. Es ist so fies dunkel abends, alles knarzt und ständig knackt es. Zum Glück wohnt ein älteres Pärchen oben im Verwalterhaus als Untermieter.

Was hast Du in der Zeit unternommen?

Ich hatte mir vorgenommen, in dieser Zeit aus dem ehemaligen Waschhaus eine Ferienunterkunft zu machen. Als ich die Tür vom großen Stall gegenüber geöffnet habe, bin ich fast erschlagen worden: Der war komplett zustellt mit Möbeln, die meine gesamte Verwandtschaft dort all die Jahre abgestellt hatte. Ich habe nach und nach alles rausgetragen und sortiert: Was kann auf den Sperrmüll? Was ist noch zu gebrauchen? Die schönen Stücke habe ich zum Einrichten verwendet. Kaum hatte ich das fertige Häuschen bei Airbnb reingesetzt, kam zwei Tage später die erste Buchung. Das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, dass das hier dauerhaft funktionieren könnte. Mittlerweile ist es acht Monate am Stück ausgebucht.

Hat Dich das dazu bewogen, zu bleiben?

Zunächst nicht. Ich bin zurück nach Stuttgart gegangen und hatte gleich wieder ein fettes Projekt auf dem Schreibtisch. Ich habe ein halbes Jahr weiter durchgeknüppelt. Die Vermietung in Damerow lief weiter, ich hatte eine Reinigungskraft, doch als die aufhörte, fing es an schwierig zu werden, es von Stuttgart aus zu managen. Mit meinem jetzigen Freund Lars, der damals noch in Leipzig wohnte und mit der Vermietung in Damerow spielte sich mein Leben zunehmend im Norden ab. Also habe ich nach acht Jahren Süddeutschland meine Sachen gepackt und bin ganz hierher gezogen, mit der Absicht, etwas aus dem Ort zu machen. Mittlerweile wohnt Lars auch dauerhaft hier und etabliert sich als freier Fotograf.

Wie läuft es seither?

Ganz ok, denke ich. Wenn man nicht im 6-stelligen Bereich investieren kann oder mag, ist es nicht ganz einfach, eine halb intakte Gutsanlage ohne Eigenkapital wirtschaftlich zum Laufen zu bringen. Ich möchte kein Geld aufnehmen, sondern nehme das, was da ist und mache etwas daraus. Nach langem Abwägen mit meinen Eltern haben wir uns entschieden, den alten Speicher und die ehemalige Brennerei zu veräußern. Das war eine schwere Entscheidung, schließlich hatten meine Eltern die Gebäude damals mühsam von verschiedenen Besitzern zurückgekauft. Der neue Besitzer kommt aus Berlin und ich hoffe, dass er mir bald in dem Speicher Schlafplätze für Gäste errichtet, die ich dringend brauche. Momentan hapert nämlich mein Vorhaben vor allem daran, dass es hier nicht genug Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Schon gar nicht, wenn Leute den Coworking Space nutzen wollen. Ich sehe hier so viel Potenzial und habe lauter Ideen, was wir hier machen könnten und einiges ist mir ja auch schon geglückt.

Was wäre das?

Ich habe das Gutscafé wiederbelebt, das meine Eltern 2008 mit dem kleinen Gutsmuseum im alten Küsterschulhaus etabliert haben. Darin wird unsere Familienchronik ein wenig nacherzählt. Ich hätte gern einen Pächter oder eine Pächterin fürs Café gefunden, was mir nicht gelungen ist – jeder weiß, wie schwer es ist, im Nirgendwo damit Geld zu verdienen. Daher stelle ich mich selbst hinter den Tresen, dabei bin ich gar kein Fan von Gastronomie. Ich habe vorher extra ein Praktikum im Restaurant meiner Tante absolviert, das hat mir sehr geholfen, mich in die Sache reinzufinden. Ich habe aber auch gemerkt, dass es immer gut ist, wenn ich da bin – weil wirklich immer jemand kommt und eine spannende Geschichte über die Gutsanlage mitbringt. Eine dauerhafte Hilfe fürs Café wäre trotzdem toll. Ich brauche auch mal eine Pause und vor allem Zeit, um den Rest hier voranzubringen. Vergangenes Jahr habe ich mehrere "Pop-up Dinner" veranstaltet. Ein Koch kommt dafür nach Damerow und wir kredenzen unseren Gästen ein Drei-Gänge-Menü. Man muss sich gute Leute suchen, mit denen man etwas gemeinsam starten kann.

Du hast den ersten Coworking Space auf einer Gutsanlage in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet – wie gut funktioniert das in eine der ärmsten Regionen Deutschlands?

Ich genieße hier das Privileg einer 100.000er-Leitung und hatte diesen Raum übrig neben dem Café. Da lag es für mich nahe, diesen als Arbeitsraum umzugestalten. Hier ist es wunderbar ruhig und wer möchte, kriegt in den Pausen einen Latte Macchiato von mir (gern auch mit Hafermilch) und kann sich an dem schönen Ausblick erfreuen. Wenn jemand in der Nähe Urlaub macht und mal einen Tag zwischendurch arbeiten muss, findet er oder sie bei uns ein konzentriertes Umfeld. Ich bekomme immer mehr Anfragen von Unternehmen aus der Stadt, die ihre Teams für eine kreative Auszeit aufs Land schicken wollen.

Hast Du dafür Unterstützung bekommen?

Die „must haves“, also die essentielle Ausstattung, die für die Betreibung eines Coworking Spaces notwendig ist, habe ich mit Hilfe des Vorpommern-Fonds finanziert. Und für meine Selbstständigkeit habe ich Gründungszuschuss bekommen. Den Antrag für den Coworking Space richtig auszufüllen, war eine Herausforderung. Im Prinzip gibt es noch keine abgesteckten Richtlinien, an denen sich alle orientieren können, einfach weil das Thema so neu ist. Man kann im Moment viele Arten von Förderungen in Anspruch nehmen, die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass die Behörden das Anliegen verstehen müssen - so ist das eben als Pionier: Keiner weiß, wie’s geht. Man muss es irgendwie voranbringen und darf sich nicht entmutigen lassen.

Gott sei dank bin ich in eine Digitalisierungs-Projektgruppe aufgenommen worden, die Lutz Scherling vom Wirtschaftsministerium zusammengetrommelt hat. Wir sind eine ziemlich agile Truppe aus allen Ecken Mecklenburg-Vorpommerns, die das Thema Coworking im ländlichen Raum etablieren wollen. Wir sind noch ganz am Anfang und wir müssen noch den Fokus ausrichten, aber die Manpower ist enorm. Da steckt viel Expertise drin und auch Wagemut. Es wird noch eine Weile dauern, bis die mentale Flexibilität hier auf dem Land angekommen ist und die Menschen das Modell Workation wahrnehmen.

Was genau bedeutet Workation?

Arbeitstourismus – es ist eine Mischung aus work und vacation. Für Gutshäuser ist es die perfekte Lösung, um auch anderweitig Auslastung zu erfahren, als über den reinen Ferienbetrieb. Wenn die Leute nicht nur freizeitmäßig übernachten, sondern auch hier ihren Alltag leben, nur eben ein bisschen entspannter als Zuhause. Einmal hatte ich eine Arbeitsgruppe von der Europaschule aus Pasewalk hier. Ich finde es schön, wenn auch Einheimische mein Angebot mehr wahrnehmen würden. Außerdem treibt mich die Frage um, wie ich die Älteren einbinden kann? Ich tüftle noch daran, digitale Nomaden mit Rentnern zusammenzutun, damit auch die verstehen, was wir hier machen. Das würde das tägliche Miteinander sicher sehr bereichern, wenn die Dorfbewohner nicht mehr das Gefühl haben, dass wir hier einfach unser Ding durchziehen.

Was gibt Dir die Zuversicht, dass das alles aufgehen wird, was Du vorhast?

Der Trend geht immer mehr in Richtung Landleben. Die Leute wollen Natur, Ruhe, das höre ich immer wieder von unseren Feriengästen. Wenn der Internetausbau vollzogen ist und sie von überall aus problemlos arbeiten können, werden sicher Einige der Stadt endgültig den Rücken kehren wollen. Natürlich müssen Konzerne und Firmen mitspielen, und vielleicht wird es irgendwann eine Coworking- statt Pendlerpauschale geben. Der nächste Flughafen ist nicht weit weg. Das wird sich alles nochmal drehen.

Ich bin doch das beste Beispiel dafür, dass sich das Leben nochmal komplett drehen kann und man auf dem Land sehr glücklich werden kann. Ich bin eigentlich kein Dorfkind, schon gar kein Gastrotyp. Anfangs dachte ich, ich komme mal für eine Weile her und dann hau' ich wieder ab in die Stadt. Mittlerweile sind die kaputten Gebäude mehr für mich geworden, ich habe gemerkt: Das ist meine Heimat geworden. Meine Freundinnen nennen Damerow immer den Happy Place, weil man hier so gut abschalten kann.

Mein Onkel, Hans Leopold von Winterfeld, wohnt in der Nachbarschaft, er ist der Einzige, der unseren Adelstitel aufrechterhält. Manchmal kommt er angeritten und erkundigt sich, wie es mir hier geht oder er nimmt er mich mit zu unserer Verwandtschaft fünften Grades. Nach und nach merke ich, dass sich hier viele spannende Menschen in der Gegend aufhalten. Der Chef eines Musikkonzerns etwa, in Richtung Straßburg wohnen zwei Tatort-Kommissare, eine tolle Frauentruppe, die ein Gutshaus führen. Ich bin also gar nicht so allein. Diese neuen Bekanntschaften sind super spannend und wer weiß, mit wem ich noch gemeinsam Projekte starten werde.

Je weniger Zeit ich in der Stadt verbringe, desto mehr gewöhne ich mich an die Abgeschiedenheit, auch wenn ich mich immer über Besuch freue. Seit Lars zu mir gezogen ist, habe ich gemerkt: Ich brauche nur eine zuverlässige Person, die den Wahnsinn mitmacht!

Womit kämpfst Du so im Alltag?

Damit, dass meine finanziellen Reserven sich dem Ende neigen. Zum Glück habe ich aktuell eine neue Projektstelle angetreten, viel Vernetzungsarbeit. Und teilweise nervt die Bürokratie. Mein größtes „analoges“ Problem ist, dass ich ein Straßenschild nicht genehmigt bekommen habe. Nach über elf Monaten Kampf, inklusive Unterstützung der Behörden aus Pasewalk, scheint es nun doch zu funktionieren. Allerdings muss ich jetzt noch einen offiziellen Antrag stellen, der dann hoffentlich vom Energieministerium freigegeben wird. Die 1000 Euro pro Schild darf ich aber selbst zahlen. Ich hätte einen günstigeren Anbieter, aber nein, das muss ich über das Amt beziehen. Da fragt man sich doch immer wieder, ob man junge Gründer lieber in den Bankrott treiben und damit gänzlich vertreiben will, anstatt sie zu unterstützen - und somit auch die Entwicklung der Region beschränken will.

Ich lass‘ mich davon nicht unterkriegen und bastle schon an einer Alternativ-Idee. Mein Vater sagt immer: Das Leben hat so viele Herausforderungen, man muss sich ihrer nur annehmen. Ich glaube, das habe ich bisher ganz gut gemacht.

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